Wo ist eigentlich der Körper Jesu Christi beim Abendmahl?

Abendmahl Kirche-Körper kirchenPÄDAGOGIK 2022

Die Szene werde ich nie vergessen. Ich war jung. Ich war neu. Und es war meine erste Kirchengemeinde. Wir feierten Abendmahl. Die Gemeindeglieder hatten sich in einem Halbkreis vorne im Altarraum aufgestellt. Die Oblaten hatte ich bereits ausgeteilt. Jetzt ging ich mit dem Kelch herum und stand vor der Frau eines Kirchenvorstehers. Ich sagte: „Christi Blut, für dich vergossen“ und reichte ihr den Kelch. Die Frau in der weißen Bluse neigte den Kopf etwas vor und streckte die Hände aus, aber sie griff nicht richtig zu, denn sie wollte den Kelch nur etwas neigen, um besser trinken zu können. Fast hätte ich losgelassen, aber reflexartig griff ich wieder nach dem Kelch und der Rotwein schwappte auf ihre weiße Bluse. Die Frau murmelte nur trocken: „Macht nichts. Das geht wieder raus.“

Aber macht das wirklich nichts? Was hatte ich denn da gerade vergossen – Rotwein? Oder Christi Blut?!

„Das ist mein Leib.“ An diesen Worten hing für Martin Luther alles. Wenn Jesus das beim Abendmahl so gesagt hat, dann hat er das auch so gemeint. Für Luther stand damit unumstößlich fest: Im Abendmahl nehmen wir Christi Leib und Blut zu uns.

Aber wie kann der Leib Christi im Brot sein, wenn dieser Leib Christi in den Himmel aufgefahren ist? Deshalb behauptete Luthers Gegner Ulrich Zwingli: Der Leib Christi ist gar nicht beim Abendmahl in der Oblate gegenwärtig, denn er sitzt im Himmel zur Rechten Gottes. Jesu Satz „Das ist mein Leib“ müsse also bildlich verstanden werden in dem Sinne von: Diese Oblate deutet auf meinen Leib hin.

Luther war strikt dagegen. Er hielt am buchstäblichen Sinn der Worte Jesu fest: In der Oblate ist der Leib Christi tatsächlich gegenwärtig, und zugleich ist Christi Leib auch im Himmel.

Natürlich widersprach Luthers Ansicht jeder rationalen Logik. Aber gerade darin liegt ihre überraschende Aktualität, denn auch die Quantenphysik behauptet ja gegen jede ‚rationale Logik‘, dass im subatomaren Bereich unserer Wirklichkeit keine eindeutigen Ortsangaben mehr möglich sind. Nicht umsonst trägt die „Heisenbergsche Unschärferelation“ den Begriff Unschärfe im Titel, der nicht so recht zu einer exakten und präzisen Naturwissenschaft passen will.

Luther entwickelte als Erklärungsmodell für die Gegenwart Jesu im Abendmahl die Lehre von der communicatio idiomatum; das heißt wörtlich übersetzt „die Mitteilung der Eigenschaften“.

Was verbirgt sich hinter dieser Lehre?

Luther nimmt die neutestamentliche Botschaft sehr ernst: Gott wird Mensch.

Dieses Ereignis feiern wir an Weihnachten. Gott wird Mensch, das heißt, das Wesen Gottes und das Wesen des Menschen kommen in dem Menschen Jesus von Nazareth zusammen. Die Person Jesu bildet die Einheit, in der die göttliche und die menschliche Natur verbunden sind.

Luther ging davon aus, dass diese Einheit der Person Christi so umfassend ist, dass die göttliche Natur ihre Eigenschaften wie zum Beispiel die Allgegenwart auch der menschlichen Natur mitteilt. Die menschliche Natur Christi bekommt also Anteil an diesen göttlichen Eigenschaften. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass der Leib Christi überall gegenwärtig sein kann. Konkret: Sein Leib ist sowohl bei Gott im Himmel als auch im Brot beim Abendmahl, und zwar gleichzeitig.

Umgekehrt bekommt auch die göttliche Natur Christi Anteil an den menschlichen Eigenschaften Christi, wie zum Beispiel der Sterblichkeit. Nur deshalb ist es möglich, dass in Jesus Christus Gott in seiner göttlichen Natur am Kreuz stirbt.

Luthers Verständnis der ‚Mitteilung der Eigenschaften‘ der beiden Naturen wird anschaulich, wenn man ein Stück Eisen beobachtet, das ins Feuer gelegt wird. Das Eisen nimmt die Eigenschaften des Feuers an, denn es wird heiß und rotglühend. Dennoch bleibt es Eisen. Umgekehrt gilt dasselbe: Die Feuersglut bekommt Form und Gestalt, denn sie verbindet sich mit dem Eisen. Dennoch bleibt es Feuer.

Ich persönlich halte Luthers Antwort für hoch aktuell und zukunftsfähig, und zwar aus zweierlei Gründen:

Zum einen bietet sie auf die Frage: „Wo ist eigentlich der Himmel?“ eine Antwort, die auch im 21. Jahrhundert überzeugt. Und zum anderen ermöglicht Luthers Antwort ein Wirklichkeitsverständnis, das sich auf gleicher Augenhöhe mit den naturwissenschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts befindet, zum Beispiel in der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Materie.

Bleibt noch die Frau mit der Bluse und dem Rotweinfleck. Habe ich ihr wirklich Christi Blut auf die Bluse geschüttet? Die lutherische Antwort lautet: Nein. Denn im Gegensatz zur katholischen Transsubstantiationslehre findet nach lutherischer Lehre beim Abendmahl keine Wandlung statt. Blut und Leib Christi werden nur da empfangen, wo sie bei einer Abendmahlsfeier in der Absicht, dass es sich um Blut und Leib Christi handelt, ausgeteilt und im Glauben empfangen werden. Deshalb darf zum Beispiel nach einer evangelisch-lutherischen Abendmahlsfeier der übriggebliebene Wein weggegossen werden.

Offen bleibt also lediglich die Frage, ob die Frau den Rotweinfleck aus ihrer weißen Bluse wirklich rausbekommen hat.

Matthias Hülsmann ist Dozent für Theologische Fortbildung und Kirchenpädagogik
am Religionspädagogischen Institut Loccum.